Generalfeldmarschall Fürst Leopold von Dessau reibt sich verwundert die Augen: „Wie könnt ihr es …!“
Rattataatatt! Baulärm hatte ihn aus dem Schlaf der Jahrhunderte gerissen.
Empört ballt er den Schlachtplan in seiner Faust. Der Fürst ist für sein aufbrausendes Temperament bekannt.
„Ihr Hundsfött! Ihr Canaille!“
Doch seine Stimme kommt gegen den Lärm der Maschinen nicht an. Sein Organ, das gewohnt ist, sich im größten Schlachtenlärm zu behaupten, wird vom Kreischen, Sägen, Hämmern, vor allem vom dumpfen Wummern übertönt.
Asphalt Tiger schaut zum Feldmarschall auf und hält sich die Ohren zu.
Leopold von Dessau schüttelt den Kopf und beißt sich auf die Lippen. Sollte er dafür bis ins hohe Alter gekämpft haben, einen brillianten Feldzug nach dem anderen durchgeführt haben? Er, der „alte Dessauer“, wie er von seinen Soldaten zärtlich genannt wurde?
(Schelmisch und mit schiefem Grinsen blickten sie ihm ins Gesicht, so dass man ihre schlechten Zähne sah. Die Soldaten. Junge Burschen, mit ungekämmtem Haarschopf, Milchbärte oft noch. Ihre grünen Hütchen mit den Krähenfedern dran saßen gewagt auf dem Hinterkopf. Jetzt waren sie schon lange tot. Egal.)
Klein und immer kleiner kommt er sich vor, in dieser neuen Zeit.
Die Brutalität des Maschinenzeitalters macht dem Generalfeldmarschall Angst und Bange. „Beim Apoll!“ Was waren die Schlachten der Alten Preußen gegen diese Schlachten mit Material? Beton, Beton, Beton. Und Stahl und Stahl und Stahl. Und Glas und Stein und Seile aus Stahl.
Man brauchte Nerven aus mannsdicken Drahtseilen, um gegen den Lärm und den Gestank und gegen die hektischen Bewegungen der roten, dürren, eisengeschmiedeten Drachen, die mit ihren ausgreifenden Armen in den Lüften suchend herumfahren, gewappnet zu sein. Kein Schmied im Anhaltinischen konnte solche Drahtseile herstellen, und auch nach Sachsen runter suchte man da vergeblich!
„Ihr Ungeheuer! Ihr Monstren! Ihr Scheusale! Früher ham wir uns weiche Kartoffeln an die Köppe geworfen! Und Kullersteine! Und ab und zu mal eine Hand voll Sand ins Gesicht!“
„Wir hatten ja nicht viel … Damals …“
Leopold von Dessau ist bedrückt von der Zielstrebigkeit und Rücksichtslosigkeit, der Vermessenheit und unglaublichen Rohheit, mit der die Heutigen ihre Materialschlacht führen. Es verschlägt ihm die Sprache, als er die Kühnheit und Unbarmherzigkeit ihrer bis ins kleinste ausgearbeiteten Schlachtpläne zu erahnen beginnt. Er, 3.7.1676 – 7.4.1747!!
Er, der zum Generalfeldmarschall ernannt wurde, weil er die Festung von Moers genommen hat, ohne dass ein einziger Schuss gefallen war (man stelle sich das vor!), sehnt sich in friedlichere Zeiten zurück.
Er, der Mitglied des preußischen Tabakkollegiums werden konnte, obwohl er Nichtraucher war, wünscht sich die humane Inkonsequenz früherer Epochen zurück. Eine gewisse Schludrigkeit im Umgang mit … diesem und jenem halt.
Ein warmer Wind aus der Vergangenheit fährt Leopold ins Gesicht, und mit ihm der Duft nach blauen Kornblumen, nach reifendem Getreide auf weiten Feldern, nach dem heißen Sand der Landstraßen Brandenburgs und Sachsen-Anhalts, aber auch der etwas kühlere, leicht salzige, frische Duft im Schatten der Linde. Doch dies ist nur ein schwacher Trost.
„Wo sind die Bäume! Wo die Wiesen! Wo das Gras!“
Wütend klammert sich der alte Leopold an seine von der Gegenwart rücksichtslos überholten Schlachtpläne. Er beschließt, die Augen rücksichtslos vor der Gegenwart zu verschließen und mit seinem Träumen erst wieder aufzuhören, wenn der Spuk verschwunden ist.
Fest presst er die Lippen aufeinander. Jetzt! sind seine Augen wieder fest verschlossen.
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