Berlin-Hohenschönhausen: Kunst im öffentlichen Raum

Vid.: Berlin 1989. Kaum ist die Mauer weg, entdecken die Jugendlichen extremistische Musik. Wo? In den Fabriken, die jetzt leer stehen. Der Postfordismus hat begonnen, die Kreativökonomie beginnt ihren Siegeszug. 

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Berlin-Hohenschönhausen. Da, wo der Kalte Krieg noch nicht zuende ist. Die Befehlshaber des Stasi-Gefängnisses in Berlin-Hohenschönhausen halten ihn am Schwelen. Sorgen dafür, dass der Geist des Sozialismus hier noch über den Wassern schwebt. Des Orankesees, des Oberen Sees. Wer früh genug aufsteht in diesen Herbsttagen, sieht, wie der Geist wallt, in Nebeln aufsteigt, sich verbreitet, näher kommt …

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Hohenschönhausen: Erich Mielke hatte hier sein Gästehaus, sein Sohn (Lieblingskuscheltier: Stasihasi) hat im Viertel gewohnt, ebenfalls Schalck-Golodkowski. Ein Villenviertel! Der ein oder andere NVA-Major hat hier zum Grillfest geladen, der ein oder andere SED-Kader am Oberen See die Enten gefüttert, die ein oder andere Nomenklatura auf der Parkbank des Orankesees gehäkelt oder nachlässig eine geraucht. Vorbei, vorbei …

Die neuen Befehlshaber des Stasi-Gefängnisses brauchen dringend neue Feindbilder! Die alten sterben aus! Nachdem die stalinistischen Opas tot sind, sind jetzt die linksextremen Enkel dran. Die Kinder mit den Kinderkrankheiten des Kommunismus!

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Die „Stiftung Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen“ (Sitz im Stasi-Knast!) versucht seit nunmehr anderthalb Jahren, mit dem durchs Bundesfamilienministerium geförderten Programm „Initiative Demokratie Stärken“ und ihrem Bildungsangebot „Alles Geschichte? Linksextremismus in Deutschland heute“ zu verhindern, dass sich ihre Daseinsberechtigung in Luft auflöst. Stasi tot – Geld weg? Alles ist auch eine Frage der Finanzen. Das Programm regt an, sich

mit neuen Formen des Linksextremismus auseinanderzusetzen.

Nach der Überwindung der kommunistischen Diktaturen in Europa schienen linksradikale Politikkonzepte für immer erledigt zu sein. Zu offensichtlich war ihr Scheitern, zu groß die Zahl ihrer Opfer. Umso erstaunlicher ist es, dass sie in Deutschland wieder Tausende Anhänger finden. Ist der Kommunismus tatsächlich Geschichte?

Spezielle Seminare und Workshops für Schüler und andere Interessierte sollen diese anregen sich mit Ideologie, Strukturen und Aktionsformen des Linksextremismus auseinanderzusetzen – und dabei zu erkennen, dass die Demokratie auch heute gefährdet ist. […] Speziell geschulte Referenten begleiten die Schüler auf einer interaktiven Entdeckungstour, die sie von Karl Marx bis zu den Autonomen in Berlin führt. Am Ende sollen sie selbst erkennen, dass politischer Extremismus nicht „cool“ ist, sondern ihre eigene Freiheit bedroht. (

Warum bloß ist Linksextremismus in der Gegenwart so attraktiv?

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1. Klassenarbeit GK, 10. Klasse Mittelstufe. Zitate aus dem Schulaufsatz eines Hohenschönhausener Schülers:

  • Damals. DDR. Schlangen vor den Warenhäusern.
  • Heute. BRD. Schlangen vor den Kunsthallen. Beispiele: Gerhard Richter, MoMA.

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  • Damals. DDR. Kunst im öffentlichen Raum: Nackte Frau mit Kind, gern gesehn! Mann liest Buch. Arbeiter mit Hacke. Pferd. Kinder auf Schlitten. Vogel. Marx. Ossietzky. Junge holt Fisch aus Brunnen? See!
  • Heute. BRD. Kunst im öffentlichen Raum? Fehlanzeige. Werbung im öffentlichen Raum! Nackte Frau mit Seife. Mann mit Flachbildfernseher. Kind mit Markenklamotte. Wiesenhof-Grillhähnchen. Oliver Jauch. Heidi Jauch. Dieter Klum.
  • Damals. DDR. Warenhäuser brauchen keine Werbung, damit Leute kaufen. Keine Schlangen vor Kunsthallen: Eintritt frei.

Fazit: DDR 10 Points! –> Junge Leute, lange Haare, Künstlertype: Linksextrem!

(Note: 5)

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Abb.: Anderswo. Hoffnung!

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2. Junge Schülerinnen aus Hohenschönhausen meckern im Kunst-Leistungskurs:

„Wir haben doch gesehen, dass die Ideologie nicht funktioniert! Wer sieht das nicht:

Plansoll nicht erfüllt: Berlin – Creative City ??? Kulturökonomie? Kreativwirtschaft? Meise?“

Wunschbild schwebt in weiter Ferne! Eintrittspreise Museum, Kino, Oper: steigend! Lebensbedürfnisse: ungestillt. Fazit: Weinen im Schlaf.

3. Schulfach Gesellschaftskunde. Schüler kritzelt Hausaufgabe:

Nach Ende des Sozialismus und Fordismus, mit Wende zum Postfordismus zwar rasches Anwachsen der Produktivkräfte: Technologie, Skills, Networking, flache Hierarchie. In steigendem Maße Vergesellschaftung der Produktionsmittel: Computer! Maus-Betrieb!

ZWAR!

ABER? FEHLANZEIGE!

Bedürfnisse der Leute nach Schönheit massenhaft ungestillt! Leute stehen sich Beine in Bauch im Warten auf Schönheit. Schönheit da? Museum zu! Übernachten. Morgen: Weiter. Leute schreien: „Hunger! nach Schönheit!“

rost 1Abb.: Das soll Kunst sein ?!? Kunst im öffentlichen Raum Berlin-Hohenschönhausens.

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WAS TUN? (Lehrer ratlos) IST DAS GEHEIME R P Y B FÜR KUNST IM ÖFFENTLICHEN RAUM DIE LÖSUNG?

Nachdem sich inzwischen gezeigt hat, dass das Programm der Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen ein teurer Flop ist, der nicht wirkt (siehe auch hier), wird gegenwärtig nach neuen und (wie sollte es in Berlin auch anders sein?) jungen, kreativen, innovativen Wegen gesucht, das linksextremistische Jugendproblem in den Griff zu kriegen.

Das CIA oder NSA zum Beispiel hat vor wenigen Tagen ein neues, streng geheimes Reeducation Program für die Youth of Berlin (R P Y B) gestartet: Kapitalistische Kunst im öffentlichen Raum! Aus Erfahrung wissen sie: Kapitalistische Kunst = Abstrakte Kunst (Prüfsumme: Kein Mensch drauf!). Abstrakt = Cool für junge Leute!

rost 3Abb.: (von Osten aus gesehen)

Ein ungewöhnlicher Weg wird hier beschritten: In Kooperation mit dem Tiefbauamt Berlin-Hohenschönhausen hat das Reeducation Program jetzt seinen ersten Angriff auf die Herzen der jungen Menschen des einstigen Stasi-Bezirks gestartet. In einer Geheimaktion haben Mitarbeiter der Behörde das erste Stück öffentlicher Kunst im Bezirk seit mehr als fünfundzwanzig Jahren aufgestellt.

Kunstkenner freuen sich: Das Ganze sieht sehr nach Richard Serra aus!

Klar: Propagandakunst! Denn dass es keine sozialistische Kunst sein kann, also kapitalistisch sein muss, sieht man daran, dass man keinen Menschen erkennen kann. Dennoch eignet dieser Kunst unbestreitbar ein utopisches Moment: Man sieht gewissermaßen Licht am Ende des Tunnels.

Unter den bestallten Kunsthistorikern des Hohenschönhausener Bauamts entfachte genau dies allerdings eine heiße Debatte. Gesetzt, das Kunstwerk sei, im Sinne des Reeducation Program, kapitalistisch: Muss das Licht am Ende des Tunnels notwendigerweise ebenfalls kapitalistisch sein? Oder muss es nicht, als sinnfälliges Anderes des Tunnels, geradezu …

rost 2Abb.: Kunst im öffentlichen Raum. Für Jugendliche. Für mehr Durchblick!

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Die Befehlshaber des Stasi-Gefängnisses, die (ganz wie die SED-Kulturpolitiker übrigens!) mehr auf die Macht des Worts setzen als auf die Suggestivkraft der Kunst, geben sich nicht geschlagen. Neues Humankapital, neue Finanzspritzen aus dem privatkapitalistischen Bereich, neue Netzwerker sollen die „Initiative Demokratie Stärken“ stärken. Aktuell sucht die Stiftung „zum 1. Januar 2014 vorbehaltlich der Weiterbewilligung entsprechender Projektmittel“ eine_n neue_n Mitarbeiter_in zur, so die Stellenausschreibung: „Durchführung von Seminaren zum Thema ‚Linksextremismus'“ und zur „Akquise, Organisation und finanzielle Abwicklung der Seminare“ (Zaster!). „Sehr gute Kenntnisse des Linksextremismus“ werden selbstverständlich vorausgesetzt …

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Die Eindeutigkeit des warnenden Worts Kalter Krieger gegen die unbestimmte Verführungskraft neumodischer kapitalistischer Kunst:

WER WIRD DIE HERZEN DER JUNGEN MENSCHEN GEWINNEN ???

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